Kern-Kohrt-Kreuzung

Diese Überschrift hätte auch: “Einer der schlimmsten Tage meines Lebens”, “Der Katastrophen-Tag” oder “Ein guter Tag zum Sterben” (Dank an Duc!) lauten können.

Was war passiert? Nunja, als ich mich morgens aus dem Bett quälte und zur Station Re di Roma fuhr, war ich zwar extrem müde, hatte aber noch keine Ahnung, was mich erwartete…

Mein Treffen mit Ilaria (die eventuell mit mir Sprachtandem machen möchte) platzte. Sie war irgendwie gar nicht in der Gegend, oder so. Da die Handyverbindung extrem schlecht war und wir ohnehin enorme Verständigungsprobleme haben, merkte ich nur, dass ich vergebens am Treffpunkt stand und machte mich auf den Weg zur Uni. So konnte ich zumindest meine Übersetzungshausaufgaben ausdrucken, dachte ich.

Tja, auch an einem scheußlichen Tag muss nicht alles schief gehen: Das mit der Übersetzung haute hin. Anschließend lernte ich einen Prof. Freschi (gesprochen: Freski) kennen, der sich als die abenteuerlichste Mischung zwischen Kohrt und Kern herausstellte, die ich je erlebt habe.

Ein älterer Mann mit Sonnenbrille saß in einem steil ansteigenden Hörsaal mit zehn Reihen ganz vorne und kündigte einen raschen Durchlauf an. Er wollte eigentlich über deutsche Literatur sprechen, wollte aber zunächst auf die unterschiedliche geschichtliche Entwicklung von Deutschland und Italien eingehen, denn sonst verstände man den Hintergrund ja nicht. Nun gut, es ging los bei der Völkerwanderung, über Karl den Grossen, ein bisschen Mittelalter, Luther, den Protestantismus (und einigen Anekdoten dazu), ein wenig Nationalsozialismus und endete schließlich bei der deutschen Teilung. Das alles in 65 min. Was man zu recht einen schnellen Durchlauf nennen kann…

Weshalb nun Kern und Kohrt (Wem diese Namen nix sagen: Germanistikprofs aus Bonn zu denen ich eine Menge erzählen kann). Kohrt: Der Typ ist ebenfalls ein gnadenloser Selbstdarsteller. Kern: Die Sonnenbrille hat er anscheinend, um alles zu sehen. So kam er direkt nach hinten, als dort gequatscht wurde und meckerte. Mich faltete er zusammen, als ich gähnte. Hallo, ich hab Richard Gere gesehen und deshalb nicht so viel geschlafen, da kann man doch mal gähnen! Als ein Handy klingelte, sagte er jedoch nichts, genauso als kurz danach sein Handy klingelte. Komisches Volk hier! Ich bin mal gespannt, in welche Richtung der sich weiter gibt…

Okay, wegen eines Gähnens kritisiert wanderte ich in meinen Übersetzungskurs, wo Böll auf dem Plan stand. Und danach Moericke. “Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte” – Für diese Zeile hatte ich nun echt keine Rohübersetzung parat. Überhaupt wurde ich nur davon überzeugt, dass ich wirklich NICHTS kann. Es war extrem frustrierend…

Eine Atempause, in der ich einkaufte. Und da ich mit dem Zug heimwollte, kaufte ich viel ein. ZU viel. Einen Rucksack und eine Tüte. Dann noch eine Vorlesung (Wieder nix kapiert außer Cinema, Cinema) und ich schleppte mich zur Metro. Scheiße, war das schwer!!!

Völlig fertig und erschöpft stellte ich mich an die falsche Metroseite. Brauchte aber einen Moment, um das zu realisieren. Was ich tat, als MEINE Metro abfuhr. Also: Treppen wieder hoch, Treppen wieder runter, wieder warten. An der Piramide (Station der Metro) ging’s dann Richtung Zug und ich hörte, dass mein Zug Verspätung hatte, so dass ich ihn doch noch kriegen konnte. Wahnsinn!! Klasse!!!

Total begeistert stieg ich in den Zug. Zunächst stimmten die Stationen auch und ich freute mich schon auf mein Abendessen. Zunächst…
Komisch, dass Valle Aurelia nur noch Aurelia hiess. Und die nächste Haltestelle kannte ich gar nicht, dass sollte doch eigentlich meine sein?!?! Nunja, auf Nachfrage erfuhr ich, dass ich im falschen Zug saß. Im ganz falschen…

Netterweise mischten sich gleich drei Herren ein, die mir ausschweifend erklärten, was ich tun sollte. Als Dank starrte ich sie an (Hääähhh???) und sagte Grazie. Einer raffte, dass ich nix raffte und meinte, dass er mich begleiten werde. Das war genial, er brachte mich zu Gleis 3 des Bahnhofs Cerveteri-Ladispoli, was gelinde gesagt am Arsch der Welt irgendwo zwischen Rom und Pisa liegt. Es war auch schon viertel vor neun (Eigentlich wollte ich viertel nach acht daheim sein). Dort gab es Anzeigetafeln auf denen was von Termini stand. Was der Typ ja auch meinte. Und, dass ich die Schaffner fragen sollte. Termini war aber auf nem anderen Gleis (dachte ich), also schleppte ich mich dahin. Ein Zug kam und ich fragte den Schaffner: “Vengo a Termini?” Er sagte, Ja und ich wollte einsteigen. Da hielt er mich zurück und machte mir klar, dass “Vengo a” “Kommt von” heißt. Ja scheiße, fast nach Pisa gefahren…

Der Typ vorher hatte nämlich völlig Recht: 3 war mein Gleis. Da stand ich nun und wartete. Und telefonierte mit Susi, die mich wunderbar beruhigte. Immerhin war ich irgendwo und hatte nicht wirklich Ahnung, wie ich heimkommen sollte. Der Zug kam und es waren vier Stationen bis San Pietro, wo ich aussteigen sollte. Es dauerte eeeeewig bis die erste Station kam. Zum Glück passte ich auf, denn irgendwie waren drei Stationen übersprungen worden und das WAR San Pietro. Ich also raus und einen Typ gefragt, wie ich nach Appiano komme. Er zeigte mir ein Gleis. Stimmte alles, nur: Menschenleer und kein Zug mehr angekündigt. Ich lief wieder runter und traf immer noch niemanden. Also wieder hoch und nachgedacht. Die Tüte mit meinen Einkäufen stand neben mir als ein Typ auf mich zukam. Tatsächlich griff er aber nach der Tüte und behauptete, es sei seine! Ich zerrte ebenfalls daran und fing an zu schreien: Nein, nein, die gehört mir! Wir schrieen uns an und niemand sonst war zu sehen. PANIK

Er meinte schließlich, schön, ich solle es beweisen, indem ich sagte, was darin sei. Vor lauter Aufregung fiel mir nur noch englisch ein und ich sagte: Brot, Tomaten, Kekse während er ebendiese Dinge ausräumte. Dieser Idiot fasste MEINE Lebensmittel an!!! Er sah ein, dass ich um meine Tüte wie ein Tiger kämpfen würde und gab auf, fing aber an, mich auszufragen. Wo ich herkäme. Und dann brüllte er plötzlich auf Englisch, dass ich eine verdammte deutsche Terroristin sei und er mich von nun an im Auge hätte, ich mich sofort verpissen solle und so weiter.

Was zuviel ist, ist einfach zuviel. Völlig fertig und nun auch schluchzend lief ich die Treppen runter in Richtung Piazza San Pietro. Dort stand ein Bus, dessen Fahrer ich heulend ansprach. Er war total lieb, versuchte mich zu beruhigen und rauszubekommen, was passiert war. Ich konnte aber echt nix erklären, schon gar nicht auf Italienisch. Er dagegen machte mir klar, was ich tun sollte (Nämlich mit ihm mitfahren und dann mit einer anderen Linie heim), doch verwirrt wie ich war, wollte ich zunächst wieder aussteigen. Andere Männer in dem Bus schalteten sich ein und meinten, ob sie die Polizei rufen sollen. Alles sehr nett, aber wirklich geholfen hat mir wiederum ein Anruf bei Susi, der ich vorheulte, was passiert war. (In MEINER Sprache…)

Ich fuhr also mit dem Bus Nummer 64. Dessen Fahrer meinte irgendwann: So hier musst du raus, geh da rüber, dort fährt Linie 23, die bringt dich in die richtige Richtung. Im Endeffekt wusste ich sogar wieder, wo ich war, nur bis daheim war es noch weit. Also: Bushaltestelle gesucht. Ich ging wie angegeben nach links und fand nichts. Fragte eine Ladenbesitzerin, die mich nach der Richtung fragte und dann nach rechts wies. Auch nichts. Eine andere Bushaltestelle, Fahrer fragen! Zwei sehr nette meinten nur: Nummer 23?! Nein, das sei nicht gut, ich solle 46/ nehmen. Der Bus stände schon da und führe gleich los. Ich in diesen mir unbekannten Bus, der eine noch unbekanntere Route mit eben dem einen Busfahrer fuhr. (Will der mich entführen?!) Tatsächlich meinte er irgendwann: So, hier musst du raus, geh da um die Ecke, da fahren die Busse 247 und 31, die kannst du beide nehmen. Was sich als wahr herausstellte.

Ich kam wirklich mit der 247 an Cipro an. Wo ich meinen Bus 990 ein Stück weiter an die Haltestelle fahren sah. Woraufhin ich einfach über die Straße lief (Ein guter Tag zum Sterben) und endlich einmal Glück hatte: Ich bekam ihn und wurde vor meiner Haustuer rausgelassen. Statt 20.15 Uhr war es 22.45 Uhr und ich war fertig.

Susi wartete schon auf mich und wir tranken nach ausführlichen Erklärungen erst mal einen Martini auf den Schreck. Dann setzte ich mich ans Internet und wollte die ganze Story aufschreiben, doch als kurz vor Ende der Geschichte alles zusammenbrach war mir klar, dass mein Pechtag noch nicht vorbei war und ich tunlichst ins Bett gehen sollte. Was ich dann auch ohne weitere Unfälle tat…
Der philantrophische Philosoph (Gast) - 18. Okt, 15:45

Dem traurigen Tigerlein...

Exhibitionisten, Emissäre, Richard Gere....der unbescholtene Leser erhält auf diesem Wege den Eindruck, dein scheinbar konstruktiver aufenthalt laufe zunehmens auf ein geradezu kataklymisches Telos zu. Was mag wohl binnen der nächsten Woche geschehen? Wird Papst Benedikt erschossen und man findet dich versehentlich am unmittelbaren Tatort vor? Gar mit der Waffe die du aus reiner Gutmütigkeit dem wohl vergesslichen Flaneur hinterher zu tragen gedachtest? Deinen benetzten Kopf nur von einem festgeknoteten turbanförmigen Handtuch umsäumt, welches du in der Eile überzogst, da der WG-interne Fön ausgerechnet an jenem Tage zu streiken gedachte? Das Leben schlägt doch mit die größten Kapriolen um es mit den Worten von heinz Struck zu zitieren. Und ich daheim gedachte schon mich dem Suizid nur aufgrund einer immer amorpher werdenden Hausarbeit sowie der Stigmatisierung eines in Richtung Punk tendierenden Philosophiekomilitonnen hinzugeben, welcher meine vormalige Lonsdaleaffinität scheinbar als pseudo-politisches Statement intepretiert hatte. So lasse dir in der Stunde der Not noch folgende Weisheit angedeihen welche deine triste Existenz auch an diesem Tage zu illuminieren vermag: Schmand is' lecker! Trotz jener Süffisance entrichte ich an dieser Stelle mein herzlichstes Mitgefühl ob jener Situation und verweise zudem auf eine kommende Mail binnen dieser Woche, solltest du meiner nicht allein durch diesen Kommentar bereits überdrüssig sein. Mit bestem Gruße aus dem heimischen Stommeln (letzteres möge man bei >Bedarf mit Bonn substituieren)

Dein fabulierender Flaneur

KleinerTiger - 18. Okt, 21:46

Hier gibbet keinen Schmand!!!

Tja, so ist es. So und nicht anders...

Hoffe, dass sich dein enormes Opus der baldigen Vollendung nähert, bevor ich mir noch nen anderen Philosophen suchen muss...

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